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Wie man in Pakistan zu einer Ziege kommt

Wir sitzen vor unserem Zelt in der Sonne und geniessen bei Müesli und Kaffee mit Ziegenmilch das wunderschöne Bergpanorama, welches sich vor uns bietet. Seit zwei Wochen wandern wir im Norden Pakistans und können nicht genug bekommen von kargen Geröllbergen, Pappelwäldern, türkisblauen Seen und Flüssen, Canyons, schneebedeckten Bergen und Gletschern. „Asalaam alaikum!“, ertönt ein Ruf von der anderen Flussseite zu uns hinüber. Wir erwidern den Gruss der beiden Hirtenjungs winkend. Am Vorabend, als wir beim Kochen unseres Abendessens waren, standen die beiden plötzlich vor uns; der eine mit einer Schale Reis, der andere mit einer Schale Ziegenmilch. Sie setzten sich zu uns und weil wir kein Urdu und sie kein Englisch sprechen, blieb unsere Kommunikation auf Deuten, Handzeichen und Lachen beschränkt. Gerührt assen wir den Reis, die Ziegenmilch gossen wir in unsere Thermosflasche für den Kaffee am Morgen. Und als unsere Pasta al dente war, gaben wir den Hirten ihre Schalen zurück - gefüllt mit Gemüsespaghetti.

Auch an diesem Morgen vergehen keine fünf Minuten nachdem wir uns gegrüsst haben und die beiden stapfen über den wackeligen Holzsteg zu uns hinüber. Sie setzen sich zu uns, lachen und als ich für den Abwasch zum Fluss hinuntersteige, wittern sie ihre Chance, mit Patrick ins Geschäft zu kommen. „One goat“, höre ich, als ich zurückkomme und sehe, wie der eine Junge grinsend auf mein Schweizer Sackmesser zeigt. Als sich Patricks und mein Blick treffen, müssen wir laut lachen. „Das ist deine Chance!“, entfährt es mir. Der Hirte hat Patricks Nerv getroffen. Einen ganzen Monat lang während unserer Yogaausbildung im Norden Indiens waren Patrick und Mathilda unzertrennlich. Mathilda - die Ziege unserer Gastfamilie. Mathilda, die es liebte, von Patrick gekrault zu werden und ihn dabei mit ihren Hörnen liebevoll in die Seite stiess. Mathilda, die jeden Tag geduldig auf Fruchtabfälle vom Frühstück wartete. Und die Patrick jeden Tag aufs Neue entzückte, wenn sie ihm unsere übrig gebliebenen Chapatis aus der Hand frass: „Schau nur, wie herzig sie die Chapatis frisst!“, rief er dann mit strahlenden Augen. Mathilda - die Ziege, die ihren Namen Patrick verdankte. Ich war wenig erstaunt, als Patrick eines Tages die Idee äusserte, einen Teil unserer Reise mit einer Ziege zurückzulegen. „Weisst du, wir wandern und die Ziege könnte einen Teil unseres Gepäcks tragen. Also vielleicht nur das Zelt“, sprudelte es aus ihm heraus. In den nächsten Tagen ertappten wir uns immer wieder beim Tagträumen unserer Reise mit Mathilda. Und gleichzeitig war uns bewusst, dass ein Grenzübertritt mit Ziege wohl nicht der einfachste werden würde.

„One goat“, wiederholt der Hirtenjunge und ich sehe in Patricks Gesicht, wie er kämpft. „Du kannst es dir überlegen“, höre ich mich sagen, „Jil bringt uns bestimmt ein neues Sackmesser mit, wenn sie uns besucht.“

Als wir unsere Rucksäcke eine Stunde später gepackt haben und uns auf den Weg ins Tal machen, liegt mein Sackmesser wie gewohnt im kleinen Fach meines Rucksacks. Uns samt Ziege von der Polizei durch Belutschistan in den Iran eskortieren zu lassen, erscheint uns zu kompliziert. Ganz zu schweigen von einer Reise zu Fuss durch die brütende Hitze des iranischen Hochsommers. „Weisst du wie gross Jils Freude gewesen wäre, wenn wir sie in Georgien mit einer Ziege empfangen hätten?“, träume ich auf dem Rückweg noch ein wenig weiter. „Ja, dann müssen wir ihr sagen, dass sie muss unbedingt ihr Sackmesser mitnehmen muss!“



 
 
 

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